Sieben Spieltage war die Saison alt mit sieben Bundesligapartien, von denen Hertha genau eine gewann und sich damit am Tabellenende wiederfand, als die Verantwortlichen beim BSC die Reißleine zogen und Trainer Lucien Favre freistellten – den Coach, der bei seinem Amtsantritt zwei Jahre zuvor von Vereinsführung, Medien und Fans einhellig als Heilsbringer empfangen wurde und mit einem Vertrauensvorschuss ausgestattet wurde, wie wohl kein Übungsleiter vor ihm.
Und während viele weiter Stein und Bein auf Favre schwören, war der Vertrauensvorschuss bei der Vereinsführung offensichtlich aufgebraucht. Doch wie konnte das so schnell nach der erfolgreichsten Saison seit langem passieren?
Rückblende: Als Favre von Dieter Hoeneß als neuer Hertha-Trainer vorgestellt wurde, hatten selbst Experten den sympathisch auftretenden Schweizer nicht auf dem Schirm. So konnte er völlig frei von irgendwelchen Vorurteilen, aber doch mit reichlich Vorschußlorbeeren aus dem Zürcher Vereinsumfeld seine Pläne verkünden. Er galt als Coach, der mit wenig finanziellen Mitteln maximalen sportlichen Erfolg holen kann – mithin genau das, was Hertha aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen suchte. Und so warb Favre mit einem Dreijahresplan, an dessen Ende für 2010 das Mitspielen um die Deutsche Meisterschaft stand. Der Weg dahin sollte gepflastert sein mit „One Touch”-Football, dargeboten von „polyvalenten” Spielern, die als Mannschaft ohne Stars funktionieren – „das ist klar”.
Doch die Realität sah schnell anders aus. Nachdem Favre in den ersten Wochen munter die verschiedensten Aufstellungen durchprobiert hatte, begann er seine Spieler schlecht zu reden und kundzutun, dass er seine Pläne mit dem vorhandenen Spielermaterial nicht umsetzen könne. Die Mannschaft reagierte verunsichert und der Zuschauer fragte sich, warum sich der Herr nicht im Voraus mit dem Team beschäftigt hatte, das er erfolgreich machen wollte. Offenbar war es Dieter Hoeneß, der in dieser Situation ein Machtwort sprach und Favre aufzeigte, dass das Niedermachen der Spieler in der Öffentlichkeit sicher nicht der richtige Weg sein kann.
Im Anschluss war in der Öffentlichkeit keine Kritik mehr zu hören und nachdem Favre in der nächsten Transferperiode einige Wunschspieler erhalten hatte, besserte sich auch das Spiel. Phasenweise erkannte der Zuschauer, welchen Fußball Favre spielen lassen wollte. Doch häufig dauerte die gute Vorstellung der Hertha kürzer als eine Halbzeit, ansonsten halfen beim Punkten immer wieder Einzelaktionen der von Favre eigentlich geschmähten Stars – und eine Defensive um Josip Simunic, dem Favre ursprünglich schon die Bundesliga-Tauglichkeit abgesprochen hatte, die hinten den Kasten so sauber hielt, dass oft ein einziges Törchen vorn den Sieg sicherte.
Doch dies waren nur die nach außen hin sichtbaren Anzeichen. Jetzt, im Zuge der Trainerentlassung, kommen nach und nach die Interna ans Licht der Öffentlichkeit, die zeigen wie sehr sich Favre mit einzelnen Spielern, vielleicht sogar der kompletten Mannschaft überworfen hatte. Möglicherweise war Favre nur in der Öffentlichkeit der zurückhaltende Strahlemann, der das „Kollektiv” in den Focus rücken wollte, doch intern hinderten ihn persönliche Eitelkeiten daran, die richtige Mischung in der und Ansprache an die Mannschaft zu finden. Trotz des Höhenflugs der vergangenen Saison fragten sich immer mehr Spieler, was da eigentlich passiert, und die Bereitschaft dem Trainer zu folgen schwand augenscheinlich schon im Laufe der Rückrunde. Allein der anhaltende Erfolg übertünchte die Risse, die hinter aller Meisterschaftseuphorie immer tiefer wurden.
Lucien Favre ist für mich der Sozialismus unter den Fußballtrainern – in der Theorie eine hervorragende Idee, in der Praxis aber mit scheinbar unüberwindbaren Problemen konfrontiert. Was in einem kleinen abgeschlossenen System noch funktionieren kann, bekommt in Konkurrenz zu anderen Philosophien stehend seine Grenzen aufgezeigt.
Favres Kampfansage lautete, dass er nicht ein weiterer Trainer werden wolle, der bei Hertha scheitert. Nun steht er doch in dieser Reihe und wird am 6. Oktober eine Pressekonferenz zu seiner sportlichen Zukunft halten. Ihm ist zu wünschen, dass er wieder in einem kleinen abgeschlossenen Biotop arbeiten und Erfolge feiern kann. Oder dass er einen Verein mit kaum begrenzten Ressourcen findet, in dem er seine Vorstellungen noch einmal auf eine echte Bewährungsprobe stellen kann. Dann wird sich zeigen, ob er zwangsläufig und vielleicht zuallererst an sich selbst scheitern musste, oder ob tatsächlich Hertha BSC wieder einmal der entscheidende Stolperstein für einen Trainer war.
Bonne chance et merci beaucoup, Monsieur Favre!